Zu fällen einen schönen Baum
braucht’s eine halbe Stunde kaum.
Zu wachsen, bis man ihn bewundert,
braucht er, bedenk‘ es, ein Jahrhundert.
Eugen Roth – Der Baum
„Hallo und herzlich willkommen bei Soundseeing Stuttgart!“ So berichte ich seit fünf Jahren über Stuttgart und seine vielen kleinen und teilweise vergessenen Winkel und Besonderheiten. Dies tue ich aus eigenem Antrieb und echter Überzeugung, weil ich diese Stadt liebe. In all den Jahren haben sich einige Tausend Zuhörer meine Soundseeing Touren angehört. Dafür möchte ich mich heute einmal von ganzem Herzen bei euch bedanken.
In den letzen Monaten hat sich in Stuttgart, diesem sonst so beschaulichen Städtchen, etwas entwickelt, das viele nicht von ihm erwartet hätten. Bürger aller Schichten und politischen Lager sind aufgestanden und protestieren mit ihren Stimmen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21; zunächst nur regional beachtet, aber seit ein paar Wochen deutschlandweit und auch international.
Als Architekt finde ich diesen neuen Bahnhof faszinierend, aber nicht in dieser Stadt. Daher war ich seit dem Start immer gegen dieses Projekt. Dem Bahnprojekt Stuttgart 21 habe ich mich daher mit Soundseeing Touren nur sporadisch immer wieder einmal genähert und dies so neutral wie es mir möglich war.
Aus purer Not wurde bereits gegen den wachsenden und überwältigenden Widerstand der Stuttgarter Bevölkerung der Nordflügel, des unter Denkmalschutz stehenden Hauptbahnhofs abgerissen.
Nach dem heftigsten Polizeieinsatz am 30.09., den Stuttgart seit 40 Jahren erlebt hat, und bei dem friedliche Jungendliche und alte Menschen maßlos verprügelt und mit Wasserwerfern verletzt wurden, fielen in der Nacht zum 01.10. die ersten 25 Bäume im Schlossgarten.
Mit dem Fällen der Jahrhunderte alten Bäume im Schlossgarten, die König Friedrich pflanzen ließ und König Karl uns Stuttgarter Bürgern in seinem Testament vermacht hat, wird nun Stadt- und Landesgeschichte für immer zerstört. Was Kriege nicht vermochten – man löschte übrigens nach jedem Bombenangriff die Bäume, die Feuer gefangen hatten – wird nun für fünf Minuten Zeitgewinn geopfert.
Ich habe über die vielen Jahre sehr viel Herzblut in Soundseeing Stuttgart gelegt, viel Zuspruch von dir und auch gute Kritik bekommen. Deshalb fällt es mir heute sehr schwer diese Zeilen zu schreiben, weil ich immer gehofft hatte, dass es noch lange nicht so weit ist, denn Soundseeing Stuttgart gehört zu meinem Leben.
Ich habe mich heute dennoch entschlossen mit Soundseeing Stuttgart eine Pause einzulegen.
Ich kann nicht über eine Stadt berichten, mit Soundseeing Touren für sie werben und so tun als ob nichts wäre, wenn in den nächsten Monaten und Jahren die Bürgerschaft nur noch ein Thema beschäftigt. Ich möchte Soundseeing Stuttgart auch nicht zu einer Plattform des Protestes machen und mit Touren gegen Stuttgart 21 stimmen. Erst wenn das Projekt gestoppt wird und der Bahnhofsumbau ein Thema unter vielen geworden ist, das die Stuttgarter Bürger bewegt, kann ich wieder über meine Stadt und die Menschen berichten – ohne Zorn und Wut im Bauch, sondern mit Stolz auf unsere demokratische Bürgerschaft. Bis dahin bleibt Soundseeing Stuttgart stumm.
Ich hoffe, dass diese Zeilen dir ein wenig begreiflich machen konnten, warum ich mich gerade heute zu diesem Schritt entschlossen habe. Alle Soundseeing Touren bleiben zugänglich, um Dir auch weiterhin von der Einzigartigkeit Stuttgarts zu erzählen.
Jetzt bleibt mir wie immer nur noch eins zu sagen: bis zum nächsten Mal bei Soundseeing Stuttgart, Adé!
Wenn Du noch Fragen oder Anregungen hast, schreib‘ mir einfach eine E-Mail.